Wenn es Zeit wird Gewinne mitzunehmen

Wer kennt es nicht. Der Rückblick auf die damals hoch im Gewinn geschlossene Aktie zeigt, dass ein man einen Verdoppler oder gar einen Verzehnfacher theoretisch im Depot hielt, diesen aber mit vergleichsweise lächerlichen 20- oder 50% geschlossen hat. Der Abschluss hat damals zwar positive Emotionen bewirkt, sich aber später als falsch erwiesen hat und so überwiegt bei Weitem das Negative. Anderer Fall: Die Aktie, die mit gut 20% im Plus war, dreht und muss mit Verlust geschlossen werden. Oftmals steigt sie wieder dann über den Einstiegskurs. Das tut dann doppelt weh. Das sind dann Fälle, die hängen bleiben und den ganzen Börsenhandel irgendwie zu einer faden Nummer werden lassen, die einem nach und nach die Freude an der Sache nimmt.

Es reicht nicht gute Aktien mit Wachstums-Chancen finden zu können. Es ist auch zu wenig gute Einstiegszeitpunkte in diese Aktien zu finden. Beide Disziplinen allein genommen sind schon schwierig genug. Aber wenn es darum geht gute Exits zu finden, wird es häufig dünn in der Welt der “Retail-Trader”. Insbesondere mit Blick auf die psychologischen Narben, die schlechte Exits hinterlassen können wie oben beschrieben, lohnt es aber sich diesem Thema intensiv zu widmen und eine Art Studium zu betreiben. Dazu müssen alle abgeschlossenen Trades einige Wochen nach dem Exit nochmal mit Ein- und Ausstieg visualisiert werden im Chart. Mir hat diese Aktivität enorm weiter geholfen und ich kann es jedem dringend ans Herz legen.

Das interessante daran ist, dass es nicht für jeden Anleger da draußen DEN EINEN richtigen Ausstieg gibt – so blöd sich das anhört. Der Ausstieg wird von der Risikotoleranz, dem eigenen Zeithorizont, der eigenen Handelsfrequenz und vielen anderen Dingen beeinflusst. Am besten ist also, man sieht sich detailliert die Kursverläufe von bekannten Aktien an, markiert als erstes die Zeitpunkte an denen man damals am besten aussteigen wollte und versucht dann die Charakteristiken dieser Ereignisse in Regeln zu verwandeln. Je mehr man übt, desto besser wird man, wie immer im Leben.

Die Regeln des Exits habe ich in den vergangenen Wochen intensiv nachgearbeitet und Verbesserungen gefunden. Mein Hauptproblem war, dass ich in einem 100% voll investierten Depot gefangen war, viele Aktien dort schon in Konsolidierungen gesteckt haben und keine Dynamik mehr zeigten und ich trotzdem keine neuen Aktien aufgrund fehlenden Cash kaufen konnte. Wenn Cash frei wurde, kaufte ich die dann schon längst 10-20% weiter angestiegene Aktie und merkte dann recht bald, dass ich zu spät dran war und schon Tage darauf in einer weiteren Konsolidierung steckte. Wenn der Markt dann auch noch drehte, musste ich viel zu oft dann super Aktien im Verlust schließen. Daher musste ich mir was überlegen wie ich freies cash schaffen konnte ohne gut laufende Aktien zu früh zu reduzieren und trotzdem der Aktie noch die nötigen Freiheiten lassen konnte um das volle Potential möglichst zu nutzen. Ich brauchte also Gewinnmitnahme Regeln. Sie sind Voraussetzung für einen vernünftig frühen Entry in eine neue Aktie. Nur der gute Entry schafft aktzepabel engen Stopp-Loss.

Im Prinzip sieht das nun so aus, dass ich ab 15% Plus bei der Aktie nach Schwächesignalen suche um die Hälfte der Position im Gewinn zu verkaufen. Die andere Hälfte läuft dann weiter bis der Trailing-Stopp greift. Falls ein Teilverkauf vollzogen werden kann, ziehe ich auch den Stopp auf Einstand +1%, damit ich beim Rest auch nicht mehr Sorge haben muss noch in den Verlust zu rutschen. Diese Gewinnmitnahmen haben den großen Vorteil, dass ich wie gesagt cash freimachen kann für Aktien, die gerade in Bewegung kommen, d.h. immer Momentum im Depot haben kann wenn es der Markt hergibt und auch bereits reduziert bin, wenn der Gesamtmarkt dreht. Ich akzeptiere die höheren Nebenkosten (Transaktionskosten) als Kompromiss dafür, dass ich auch mit der Gewinnmitnahme falsch liege und die Aktie viel weiter steigt. Das tut sie dann eben mit der Hälfte der ursprünglichen Größe.

Das klingt nach einer kleinen Änderung aber es ist ein großer Schritt der einige viele bisherigen Probleme löst:

  • Gut laufende Aktien nicht mehr in den Verlust rutschen zu lassen
  • freies cash schaffen wenn die Aktie anfängt zu konsolidieren, damit neue Spurts bei anderen Aktien mitgemacht werden können
  • Belohnungen für einen guten Entry schaffen.
  • Umsätze generieren
  • Trotzdem den Trend zu reiten. Reduziert zwar, aber was besseres habe ich noch nicht gefunden

Dabei ist es aber wichtig sicherzustellen, dass der 50% Exit reproduzierbar nach klaren Kriterien erfolgt. Bei mir ist es ein Key-Reversal unter Volumen beispielsweise. Es können auch einfache Zuwachs-Zahlenwerte sein, wie z.B. +20%, oder +25%. In diesen Bereich übrigens fangen so ziemlich alle Aktien nach Ausbrüchen an die ersten Konsolidierungen zu bilden, die dann über Wochen dauern. Warum also sein Geld in diesen Aktien komplett drin lassen und dann über Wochen zuschauen wie die Aktie wieder 10 oder 15% zurück kommt?

Ein anderer wichtiger Aspekt ist der Markt selbst, der aktuell (KW47/2020) wieder an einem lokalen Hoch angekommen scheint. Die nächste Woche wird sehr interessant werden zumal Optionsverfall ist und die ersten Dezemberwochen dann auch saisonal überwiegend schwach bis sehr schwach sind (bis ca. 14.12., von da an startet die berühmte Santa-Rallye). Ich bin vorbereitet. Wollen wir hoffen, dass wir von Überraschungen verschont bleiben.